Übertriebene Hygiene

 

Allergien und Erkrankungen der Atemwege bei Kindern sind dramatisch auf dem Vormarsch. Bereits jedes zehnte Kind leidet an Asthma. Was kann man dagegen tun? – Noch mehr putzen? Nein. Experten raten vielmehr zu mehr Kontakt mit natürlichen Bakterien. Zu viel Hygiene ist nämlich gar nicht gesund.

 

Nicht nur sauber, sondern „rein“?

 

Sauber allein scheint heutzutage nicht mehr zu genügen. Schließlich zeigt uns die Werbung täglich, wie die „bösen“ Bakterien in schrillen Farben triumphierend herumtanzen: Auf unserer Haut, in unseren Kleidern, auf Lebensmitteln und im Klo. Nur das extra starke Putzmittel bringt‘s, denn es reinigt ja „porentief“. Und so wird desinfiziert, was das Zeug hält. Leider geht das auf Kosten unserer Gesundheit. Denn, das haben Wissenschaftler in der sogenannten Hygienehypothese (manchmal auch als „Bauernhofhypothese“ oder „Urwaldhypothese“ bezeichnet) formuliert: Kinder brauchen zum gesunden Heranreifen ihres Immunsystems und zur Entwicklung ihrer körpereigenen Abwehr Anregungen von außen. Und zwar viele. Wo es die gibt? Zum Beispiel auf dem Bauernhof. Stallluft ist also nicht nur würzig – sie ist auch gesund.

 

Das Immunsystem stärken

 

Asthma – das griechische Wort bedeutet „Keuchen“ – ist die häufigste chronische Krankheit bei Kindern. Es ist kein Zufall, dass vor allem Stadtkinder von dieser Krankheit betroffen sind – und das liegt nicht nur an den Autoabgasen. Oft ist auch übertriebene Hygiene daran schuld. Es beginnt schon in der Schwangerschaft. Viele Schwangere meiden den Kontakt mit der Natur, weil sie fürchten, sich mit Krankheitserregern zu infizieren. Dabei ist es genau umgekehrt. Als Risiken für Allergien und Atemwegserkrankungen werden unter anderem folgende genannt: Kaiserschnittgeburten, Flaschennahrung, zu viele Medikamente – also alles, was die Begegnung mit natürlichen Bakterien einschränkt. Studien zeigen, dass Bauernhofkinder wesentlich seltener an Asthma erkranken als Stadtkinder, und das liegt am frühen Kontakt mit der Mikrobenvielfalt im Stall.

 

Man kann es übertreiben!

 

Wir alle tragen seit der Geburt unzählige Bakterien in uns – genau gesagt, sind das bei Erwachsenen etwa zwei Kilogramm. Diese Bakterien leben auf den Schleimhäuten, vor allem im Mund und im Darm und sind die Voraussetzung für ein gesundes Leben. Sie stehen in einem ständigen Wechselspiel, und wenn alles passt, ist dieses ausgeglichen. Werden Bakterien zu radikal entfernt – etwa vorübergehend durch Antibiotika – entsteht ein Ungleichgewicht, und das Immunsystem gerät ins Wanken. Dies wurde auch durch Versuche an Mäusen bewiesen: Tiere, die in einer keimfreien Umgebung gehalten wurden, erkrankten viel häufiger an Allergien als solche, denen ein natürlicher Lebensraum ermöglicht wurde. Fazit: Zu viel Hygiene schadet!

 

Dreckspatzen leben gesünder

 

Kleine Kinder erforschen ihre Umgebung mit dem Mund. Das ist gut so. Natürlich schauen Eltern darauf, dass diese Erfahrungen im vernünftigen Rahmen bleiben. Wichtig ist wie überall das Mittelmaß. Wenn der Schnuller hinunterfällt, soll er nicht von den Eltern abgeschleckt werden, das ist klar – es braucht aber auch keine aufwändige Desinfektion. Kinder müssen sich entfalten dürfen. Sie brauchen Kontakte mit anderen Kindern und mit Tieren. Kinder wollen die Natur erfahren, ertasten, er-riechen, er-schmecken. Und wo geht das besser als in der freien Natur?

 

Durch die Wiese hüpfen

 

Wie greift sich das Fell einer Kuh an? Wie weich ist im Vergleich dazu das einer kleinen Katze? Wie läuft es sich barfuß über sonnenwarmes Gras? Wie schmecken Himbeeren direkt vom Strauch? Landkinder dürfen diese kostbaren Erfahrungen machen. Stadtkinder sind hingegen manchmal so „überbehütet“, dass sie gar nicht mehr an die frische Luft kommen. Allen Eltern, die überall Gefahren wittern, soll gesagt sein: Das Leben ist gefährlich – aber es ist das schönste Abenteuer, das es gibt. Raus aus der Käseglocke – auf in die Natur!

 

Elisabeth Freundlinger